Im Deutschunterricht haben wir uns mit der Epoche der Aufklärung befasst, anhand des Buches Nathan der Weise von Gotthold Ephraim Lessing. Dabei waren zwei der Themen, mit denen wir uns beschäftigt haben, der religiöse Fundamentalismus, der damals alltäglich war, und die aufklärerischen humanistischen Werte und Toleranz. Zwei der wichtigsten Figuren vertreten jeweils eines der beiden zuvor genannten Themen. Der Patriarch als Christ vertritt den religiösen Fundamentalismus, während Nathan die aufklärerischen Werte repräsentiert. Nathan ist zwar Jude, doch sieht er seine religiöse Zugehörigkeit überhaupt nicht als altmodisch, sondern als aufgeklärt. Er stellt immer den Menschen vor die Religion. Der Patriarch hingegen stellt die Religion über den Menschen. Für ihn ist ein Christ ein Christ, ein Jude ein Jude und ein Moslem ein Moslem. Im gesamten Werk Nathan der Weise geht es um den Konflikt zwischen diesen beiden Weltansichten. Um diesen Konflikt zu verstehen, muss man die historische Einordnung der Geschichte kennen und wissen, was die Aussagen der Aufklärung und des Fundamentalismus sind.
Die Geschichte spielt in der Zeit der Kreuzzüge. Zurzeit herrscht der Sultan, als Anführer der Muslime, über Jerusalem. Im Krieg zwischen den Christen und den Muslimen ging gerade ein Waffenstillstand zu Ende, und die christlichen Tempelritter griffen sofort wieder an, obwohl der Sultan den Waffenstillstand gerne verlängert hätte. Wie man sieht, gibt es große Spannungen zwischen den beiden Religionen, die in der Geschichte einen großen Konflikt auslösen.
Die Aufklärung behauptet, dass keine Religion die absolute Wahrheit besitzt und dass alle Religionen nur Interpretationen der natürlichen Religion – also derjenigen, die korrekt ist – darstellen, damit die Menschen die natürliche Religion verstehen können. Nach der Aufklärung sind also alle Religionen gleich falsch und gleich richtig. Dadurch lösen sich aufgeklärte Personen von der strikten Trennung der Religionen und sehen den Menschen im Vordergrund. Die christlichen Fundamentalisten sehen das Gegenteil. Sie denken, ihre Religion sei richtig und alle anderen seien falsch. Außerdem stimme alles, was in der Bibel steht, ganz genau. Dadurch entsteht die Ansicht, dass ein Christ ein Christ und ein Jude ein Jude sein müsse. Dabei steht die Person an sich eher im Hintergrund.
Lessing präsentiert mit dem Werk Nathan der Weise einen möglichen Lösungsansatz für die vielen religiösen Konflikte, die mit den Kreuzzügen einhergingen: den aufklärerischen Ansatz. Doch dadurch entsteht ein weiterer Konflikt: Fundamentalismus gegen Aufklärung.
In vielen westlichen Ländern sind die religiösen Konflikte durch die Glaubensfreiheit oberflächlich gelöst. Die Glaubensfreiheit führt die aufklärerische Toleranz zwischen den Religionen auf politischer Ebene ein. Dadurch sind die Konflikte auf politischer Ebene scheinbar gelöst, denn durch diese Toleranz sollten sich die zwischenreligiösen Konflikte theoretisch beheben. Leider stimmt das so nicht. Wenn man genauer hinsieht und vor allem auch in andere Teile der Welt blickt, wird schnell deutlich, dass sie überhaupt nicht gelöst sind. In vielen Ländern, in denen politische Glaubensfreiheit herrscht, gibt es in der Gesellschaft dennoch Ablehnung gegenüber einer oder mehreren Religionen. Andererseits gibt es viele Staaten, die offiziell immer noch nur einer Religion angehören, was zu religiösen Konflikten führt. Ein Extrembeispiel ist Jerusalem. Derzeit führt der jüdische Staat Israel Krieg gegen die muslimische Terrororganisation Hamas. Seit der Gründung des Staates Israel wurden die Palästinenser, die schon vor Israels Gründung in dieser Region ansässig waren, militärisch immer weiter in den Gazastreifen gedrängt. Das ging so weit, dass sich die Hamas anstelle des palästinensischen Volkes begann zu wehren. Seitdem herrscht Krieg in der Region. Doch wie auch viele andere religiöse Konflikte wäre auch dieser deutlich einfacher zu lösen, wenn zwischen den Religionen mehr gegenseitige Toleranz herrschen würde. Genau diese aufklärerische Toleranz, die Lessing schon in Nathan der Weise präsentiert hat.